Wenn es um das Thema „lernen“ geht, darf selbstverständlich der in Niederösterreich geborene Ricardo Leppe nicht fehlen, dessen ungewöhnliche Lernmethoden in aller Munde sind. Der 32-Jährige tourt vorwiegend durch den deutschsprachigen Raum, um sein Konzept des freien Lernens mit Spaß Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen näherzubringen. Der Berufszauberer und Gedächtnistrainer bereiste als Kind mit seinen Eltern zahlreiche Länder und wurde daher die ersten 5 Jahre von seinen Eltern unterrichtet. Und das nur eine halbe Stunde in der Woche, wie er lachend erwähnt. Zappelino im Gespräch mit Ricardo.
Ricardo, deine Biographie ist ja wohl alles andere als gewöhnlich, wie mir scheint.
Nicht ganz! (Ricardo lacht herzhaft) Da sich meine Eltern schon immer bewusst mit den Fragen des Lebens beschäftigt haben, lief meine Kindheit anders ab als bei den meisten. Mein Vater hat sowohl in Japan als auch in Indien, Nepal, Tibet gelebt und dort verschiedenste Trainings- und Meditationstechniken kennengelernt, was ihn nachhaltig geprägt hat. So wusste er aus Japan, dass die Kindererziehung mindestens ein Jahr vor der Zeugung mit der geistigen und körperlichen Kultivierung von Mann und Frau beginnt. Je nachdem, wie Körper und Geist vorbereitet sind, ziehst du ein Leben an. Eine völlig andere Sicht, als wir das aus Europa kennen. Da ich von Anfang an von meinen Eltern als vollwertiges Wesen anerkannt und ernst genommen wurde, gab es weder in der Kindheit noch in der Jugendzeit Verbote. Sie sprachen mit mir wie mit einem Erwachsenen. Als Dreijähriger wollte ich unbedingt in unser Kaminfeuer greifen. Daraufhin entzündete mein Vater eine Kerze und legte einen nassen Waschlappen daneben. Diese erste, schmerzhafte Erfahrung mit dem Feuer sorgte dafür, dass meine Eltern nie mehr Angst haben mussten, dass ich mich dem Feuer nähere. Über Verbote hätte ich das nicht gelernt. Meine Eltern hatten von Anfang an ein großes Grundvertrauen in mich, auch als ich damals als 15-Jähriger mit meiner Freundin für vier Wochen mit Zug und Rucksack auf eine kroatische Insel fuhr. Ganz besonders waren natürlich die drei Jahre von meinem 5. bis 8. Lebensjahr, die wir unter Indianern im Wald von Peru verbrachten. Du musst dir vorstellen, wir liefen den ganzen Tag wie Mogli rum und ernährten uns in erster Linie von Früchten, hauptsächlich von Mangos, die so reif waren, dass uns unsere Eltern nach dem Essen mit dem Gartenschlauch abspritzten. Wir waren gelb, aber glücklich! ( Was für eine Kindheit! – Anmerkung der Redaktion) Wir mussten in unserer Kindheit nicht helfen, wollten es jedoch immer, weil es freiwillig war. Wäre ein Druck dahinter gewesen, hätten wir das bestimmt weniger gerne getan. Denn wir wollten ja unseren Eltern beim Kochen oder im Garten helfen. Meinen Eltern war schon früh klar, dass Lernen über Beziehung geht und darüber, dass man jemandem vertraut. Zudem ist natürlich das Vorleben entscheidend. So gab es beispielsweise bei uns zuhause keinen Alkohol, keine Zigaretten, kein Zucker, und als wir in die Pubertät kamen, wurden keine Verbote ausgesprochen, sondern erklärt, warum meine Eltern keinen Alkohol trinken.
Diese Vorbildfunktion meiner Eltern hat mich nachhaltig geprägt, sodass ich bis heute noch nie Alkohol getrunken habe. Zudem ernähre ich mich von Anfang an vollwertig und pflanzlich, was damals bei vielen auf Unverständnis stieß. Es wurde von vielen Seiten „prophezeit“, dass wir alle unterentwickelt und krank würden. Das Gegenteil ist der Fall – ich kenne keinerlei Krankheiten!Wie kam es dazu, dass du Zauberer wurdest?
Als ich mit 14 zu einer Sprachreise in London war, lernte ich einen älteren Herrn kennen, der einen Zaubershop hatte. Dort kaufte ich mir die ersten Zaubertricks, um dann, zuhause angekommen, YouTube Videos zu einfachen Zaubertricks zu studieren. Es folgten die ersten Auftritte in derFamilie, bei Freunden, auf Kindergeburtstagen. Der Gedanke, die Zauberei als Hauptberuf zu wählen, kam erst später, denn eigentlich hatte ich vor, Lehramt zu studieren und die Zauberei nebenberuflich auszuüben. Während meines Zivildienstes hatte ich beim Roten Kreuz Kontakt mit teilweise schwer kranken Menschen, die in der Regel nur über ihre Krankheiten sprachen. Um die Menschen abzulenken, stopfte ich mir meine Taschen voll mit Zaubertricks und habe mit jedem gezaubert. Das war das Highlight im Krankenhausalltag und kam so gut an, dass ich entschied, es gleich hauptberuflich mit der Zauberei zu probieren. Auch dafür hatten die meisten – außer meinen Eltern – kein Verständnis, was mich nicht abhielt. Denn im Gegensatz zu vielen, liebe ich meinen Beruf. Ich arbeite sehr gerne als Zauberer und es macht mich absolut glücklich, den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Und da man bei der Zauberei ein gutes Gedächtnis haben muss, beschäftigte ich mich über Jahre mit Mnemotechnik und Loci-Technik. So las ich im Schwimmbad über vedische und indische Mathematik und habe 200-stellige Zahlenblöcke auswendig gelernt, wofür mich einige für verrückt erklärten. Eines Tages kam eine Lehrerin auf mich zu und lud mich in ihre Klasse ein. Und das war der Beginn. Benötigen Grundschulklassen teilweise Jahre, um das Einmaleins zu erlernen,so gelingt es mit dieser Methode an einem Vormittag. Bereits am nächsten Tag hatte ich drei Anrufe von Schulleiterinnen, die mich einluden. Und das Gute ist, dass diese Methode nicht nur für das Erlernen des Einmaleins geeignet ist, sondern ebenfalls für Rechtschreibung, Sprachen, Geschichte, Physik, Chemie, Geografie – einfach für alle Bereiche. Und da natürlich die Schulen keinerlei Gelder zur Verfügung haben, lief das alles kostenfrei. Da bekannt war, dass ich Zauberer bin, erhielt ich nun über die Schulen von Eltern und Lehrern Anfragen für Kindergeburtstage, Firmenevents, Familienfeiern etc.
Plötzlich stand mein Telefon nicht mehr still, da sämtliche Schulen diese einzigartige Lernmethode erlernen wollten. Und da ich keine 70.-80.000 Schulen im deutschsprachigen Raum besuchen kann, erwarb ich eine kostspielige Kameraausrüstung, gründete einen Verein und drehte mit meinem Bruder die ersten Lernvideos. Mittlerweile haben wir über 100 Videos auf der Lernplattform meiner Internetseite „Wissenschafftfreiheit“ veröffentlicht, die man kostenfrei nutzen kann. Denn mir wurde bewusst: Wer andere Ergebnisse will, muss andere Wege gehen. Die Resonanz war so grandios, dass mein Bruder und ich in einer Nachtund-Nebel-Aktion die Bundesländergruppen gründeten, um zu vernetzen und auszutauschen. Von da an erhielten wir bis zu tausend Anfragen pro Tag zum Thema Lerngruppen und Schulgründungen, was wir alleine überhaupt nicht mehr stemmen konnten. Glücklicherweise haben sich 130 „Löwenmamis“, wie ich diese Mütter bezeichne, gefunden, die uns als Admin unterstützen. Dann folgten zahlreiche Interviews und Kongresse, sodass es dieses Frühjahr regelrecht durch die Decke ging.Worin siehst du die Gründe für deinen Erfolg?
Ich habe beobachtet, wie Eltern ihren Kinder die Muttersprache und auch noch eine zweite Sprache mühelos beibringen. Da braucht es weder Grammatik noch Vokabeln, noch Bücher. Oder hast du schon einmal einen Kurs gesehen: Muttersprache für Kinder? Die Eltern bringen den Kindern ganz natürlich aus dem Bauch heraus, alles über Bilder bei. Und das habe ich umgesetzt: Die Verknüpfung von Bildern mit einer Emotion – da macht selbst das Auswendiglernen von physikalischen Formeln Spaß. Stumpfsinniges Auswendiglernen ohne Emotionen ist nichts anderes als Bulimie lernen. Auswendig lernen, auskotzen und vergessen. Das Konzept sieht vor, dass man 1-2 Stunden am Tag nach dieser Methode lernt und sich die restliche Zeit mit all den Dingen rund um den Körper beschäftigt: Sport, Musik, Kunst. Denn dabei entwickelt sich das Hirn am effektivsten und besten. Zudem macht es nahezu allen Kindern Spaß, sich zu bewegen, zu tanzen, in die Natur zu gehen. Darüber hinaus befassen wir uns damit, was wir zu uns nehmen, wie unser Körper funktioniert und wie wir mit ihm umgehen. Schließlich haben wir unseren Körper ein Leben lang. Und wenn der nicht funktioniert, macht alles keinen Spaß mehr. Das beinhaltet ebenfalls den Umgang mit der Natur, den Tieren, den Menschen und natürlich den Umgang mit mir selbst. Wie gehe ich mit unterschiedlichen Menschentypen um und wie mit meinen eigenen Emotionen? Hier erlernen die Kinder unterschiedliche Methoden von Atemtechnik über Meditation sowie Techniken aus dem Mentalbereich. Ein weiterer Baustein ist die Vorbereitung auf das reale Leben. Das sind so einfache Dinge wie Reifen wechseln, Mietvertrag ausfüllen, Kochen, Steuererklärung …. Dazu gehört des Weiteren die Möglichkeit, bereits während der Schulzeit in andere Berufe reinzuschnuppern, um zu sehen, was mir liegt und was nicht.
Alles im Leben entwickelt und verbessert sich: Menschen, Tiere und Pflanzen. In meinen Augen funktioniert das im aktuellen Schulsystem nicht so richtig, da das System sich nicht entwickelt und verbessert, daher hat der überwiegende Teil der Kinder keinen Spaß an der Schule. Wenn wir lebendige Kinder wollen, brauchen wir ein lebendiges Schulsystem, das sich im Sinne der Kinder entwickelt. Denn es geht einzig und alleine um sie. Ziel sollte es sein, dass sich die Schulenstetig weiterentwickeln und verbessern. Wie wäre es, wenn man die letzten Wochen vor den Sommerferien, wenn eh schon das Schuljahr nahezu rum ist, alle Schüler und Schülerinnen befragt, was ihnen am besten gefallen hat, was überhaupt nicht und was sie sich fürs nächste Jahr wünschen? Denn was man nicht freiwillig lernt, vergisst man eh. Ich bin davon überzeugt, dass niemand sagen wird, dass er nicht lesen oder rechnen möchte, denn kleine Kinder sind von Geburt an wissbegierig und möchten lernen. Dieses Interesse müssen wir fördern, was in meinen Augen der optimale Weg ist. Zudem könnte man in dieser Zeit die Klassen befragen, wie man die Schule für die nachfolgenden Klassen noch verbessern könnte. Glaub‘ mir, Kinder sind hilfsbereit und entwickeln kreative Ideen, wenn sie einbezogen werden. Dieses selbständige Erarbeiten trägt zur Selbstverantwortung bei, zudem lernen die Kinder, ihre Vorschläge und Ideen den jüngeren Klassen zu präsentieren. Diese Vorschläge werden von den jeweiligen Lehrern dokumentiert und über eine Onlineplattform gesammelt. Durch eine gemeinsame Abstimmung von Schülern, Lehrern und Eltern könnte gewährleistet werden, dass die Schule im Sinne der Kinder besser wird und wächst. Es gilt, ein gutes Fundament zu errichten, auf der die Schule, auf Basis der Kinder, wachsen und zu ihrem eigenen Optimum heranreifen kann.Was kann man machen, wenn eine Schulgründung aktuell nicht möglich ist?
Es wurden in den letzten Jahren einige Schulen der Zukunft gegründet. Wem das aktuell nicht möglich ist, der kann sich die Videos auf meiner Homepage „Wissen schafft Freiheit“ anschauen, die ich kostenlos zur Verfügung stelle. Hier können sowohl Lehrer als auch Eltern die verschiedenen Lerntechniken erlernen, um ihre Kinder besser vorzubereiten. Denn wenn die Kinder sehen, dass sie spielerisch das Einmaleins, Rechtschreibung oder eine Fremdsprache erlernen können, ist ihnen die Angst genommen und sie werden mit Freude lernen. Auch wenn das im ersten Moment utopisch klingt, so funktioniert es tatsächlich. Nachdem ich in zahlreichen Schulen war, um mit tausenden Kindern zu arbeiten, beschäftigte ich mich mit den unterschiedlichsten Schulsystemen, die mich allerdings alle nicht gänzlich überzeugten. Daher habe ich angefangen, die Kinder zu befragen, wie sie sich die Schule wünschen, denn schließlich geht es ja in erster Linie um sie. Dabei kam heraus, dass der überwiegende Teil lernen möchte, allerdings mit Spaß und Freude. Kinder lernen gerne, aber eben Dinge, die sie im realen Leben brauchen und nicht irgendwelche Formeln, die man auswendig lernen muss, um sie nach der Schulzeit nie mehr zu benötigen. Zudem kam auch der Wunsch, wann sie etwas lernen wollen. Manche können bereits mit fünf lesen und andere brauchen einfach etwas länger. Jedes Kind ist ein Individuum und braucht seine eigene Zeit, was in unserem aktuellen Schulsystem nicht berücksichtigt wird. Kein Wunder, ist man da unmotiviert und verliert die Freude am Lernen.
Ricardo, wie sieht die schulische und auch deine Zukunft aus?
Aktuell sind wir dabei, unsere Videos in verschiedene Sprachen zu übersetzen, da ich sowohl Anfragen aus Mexiko, Indien, Japan, Kanada bekomme und ich gerne die Bewegung „Wissen schafft Freiheit“ weiter bekannt machen möchte. Mein Wunsch wäre es, dass jedes Kind sowie dessen Eltern entscheiden könnten, welche Schulform sie wählen: Staatliche Schule, Naturschule, Waldorfschule, Montessorischule oder Ricardo Schule. Schule sollte nichts Starres sein, sondern sich im Austausch mit den Kindern entwickeln dürfen. Und auch wenn ich gerne mehr zaubern und mehr reisen würde und irgendwann mal ein Haus bauen und Kinder kriegen möchte, so gibt es doch nichts Schöneres, als wenn die Kinder ihre Angst vor der Schule ablegen und erkennen, dass in ihnen allen kleine Genies stecken. Ich habe in so viele glückliche Kinderaugen geblickt und das treibt mich an.
Danke für dieses inspirierende Gespräch,
lieber Ricardo!