1925 gründete Fritz Gerhards in Wuppertal ein Marionettentheater. Nach seiner Schauspielausbildung am Schauspielhaus Düsseldorf – gemeinsam mit Gustav Gründgens, Paul Kemp und Walter Oehmichen – lernte er Figurenbau in Dresden und Baden-Baden. Mit einer Faust-Inszenierung eröffnete er am 10. Oktober 1925 sein eigenes Theater.
Es entwickelte sich zu einem der bedeutendsten Figurentheater Deutschlands. Zu den bekanntesten Stückenzählen „Die Zaubergeige“ (1929), „Schneewittchen“ (1930), „Gevatter Tod“ (1934) und „Till Eulenspiegel“(1938). Die Aufführung von „Gevatter Tod“ inspirierte Walter Oehmichen zur Gründung der Augsburger Puppenkiste. 1943 zog Fritz Gerhards wegen der Luftangriffe nach Schwäbisch Hall. Ein Teil des Fundus wurde in Salzbergwerken eingelagert. Trotz Kriegsschäden gelang mit Hilfe der Stadt der Wiederaufbau. Ab 1948 tourte das Theater durch Baden-Württemberg. 1962 übernahm Wolfgang Gerhards die Leitung und führte das Erbe seines Vaters fort.
Seit 1982 ist das Theater im „Schafstall“ beheimatet, seit 2008 als gemeinnütziger Verein.
Zum 100-jährigen Jubiläum 2025 sind große Ausstellungen geplant. Auf der Bühne werden u. a. „Das kleine Gespenst“ und „Der Räuber Hotzenplotz“ gespielt. In der Winterspielzeit werden zwei Inszenierungen mit historischen Marionetten, geschaffen von Fritz Gerhards in den 30er Jahren, aufgeführt: „Das Märchen von Schneewittchen“ und für Erwachsene „Das Puppenspiel Doktor Johann Faust“.
Zappelino im Gespräch mit Karin Birkhold-Gerhards.

Frau Birkhold-Gerhards, Sie begehen dieses Jahr ein außergewöhnliches Jubiläum. 100 Jahre Gerhards Marionettentheater. Außergewöhnlich, da das Marionettentheater Ausnahmesituationen wie den 2. Weltkrieg überstanden hat, herausfordernde wirtschaftliche Zeiten, Standortwechsel sowie Übergabe des Theaters an die nachfolgende Generation. Was macht die Besonderheit von Gerhards Marionettentheater aus?
Seit nun 100 Jahren führen wir Kinder an die Welt des Theaters heran. Für viele Kinder ist es ihr erster großer Theaterbesuch. Sie erleben in Baden-Würtembergs größtem und ältesten Marionettentheater die ihnen oft schon bekannten Märchen und Kinderbuchklassiker live in einem Theatersaal mit bis zu 172 Zuschauern auf einer 5 Meter breiten Bühne. Die Stücke sind möglichst nahe am Original und kindergerecht inszeniert, aber auch Erwachsene sind stets begeistert und beeindruckt, was das Marionettentheater bietet.
Für uns bietet die lange Geschichte die Möglichkeit, auf den Fundus und die Errungenschaften aus 100 Jahren Marionettentheater mit höchster künstlerischer und technischer Qualität zurückgreifen zu können und darauf aufbauend neue Inszenierungen zu machen.
Welchen Herausforderungen durfte sich das Marionettentheater damals und welchen heute stellen?
Das Theater verfolgt seit seiner Gründung den Anspruch, künstlerisch hochstehendes und anspruchsvolles Marionettentheater für Kinder und Erwachsene anzubieten. Dies gelang früher und gelingt uns auch heute. Aus einem Einzugsgebiet von ca. 150 km kommen Besucher auf Empfehlungen hin uns in die Vorstellungen.
Es ist bewundernswert, mit welcher Kraft und Energie die Theaterleitungen Fritz Gerhards, später Hertha Gerhards von der Heydt und danach Wolfgang Gerhards, das Theater durch politisch schwere Zeiten und wirtschaftliche Krisen geführt haben.
Selbst in der heutigen schnelllebigen Zeit ist es uns möglich, mit unseren Inszenierungen Kinder und Erwachsene für das Marionettenspiel zu begeistern.

Was schätzen Ihre Gäste an Ihren Stücken und was ist die Besonderheit an den Stücken?
Die künstlerische und spielerische Qualität, die Nähe zum Original und der 100-jährige Grundsatz des Theaters: Dass eine Inszenierung das perfekte Zusammenspiel von Gestaltung, Bewegung, Sprache, Musik, Licht und Farben sein muss. Und natürlich auch die außergewöhnliche Theaterform und der Unterhaltungswert.
Wie viele Stücke haben Sie im Repertoire, die Sie regelmäßig aufführen?
Wir spielen jedes Jahr im Wechsel 8-10 verschiedene Inszenierungen.
Insgesamt haben wir über 25 spielbereite Stücke, einige, die wieder spielbereit gemacht werden können und auch neue werden dazukommen.

Im Juni werden Sie das Stück „Das kleine Gespenst“ zeigen und im Juli und August dürfen sich die großen und kleinen Gäste auf „Räuber Hotzenplotz“ freuen.
Das kleine Gespenst wurde 1999 von Gerhards Marionettentheater unter der Leitung von Wolfgang Gerhards produziert und ist ein Kinderbuchklassiker von Otfried Preußler. Das Stück ist besonders für unsere jüngsten Besucher (ab 3 Jahren) geeignet. Das kleine Gespenst wird zum Taggespenst und verursacht im Städtchen Eulenberg allerlei Verwirrung.
Der Räuber Hotzenplotz entstand 2003. Die Kinder dürfen sich auf das Abenteuer von Kasperl und Seppel freuen, die der Großmutter, die vom Hotzenplotz geraubte Kaffeemühle, zurückbringen.
Bei den Vorstellungen sind immer Marionettenspielerinnen und – spieler auf der Bühne im Einsatz.
Neuinszenierungen werden von den MarionettenspielerInnen bei uns in den Werkstätten, neben dem jährlichen Spielbetrieb selbst produziert. Dazu gehört alles: der Marionettenbau, das Bühnenbild, der Requisitenbau bis hin zur Textbearbeitung, den Tonaufnahmen, die Bühnentechnik und die Lichtprogrammierung.
Können Sie der Zappelino Leserschaft etwas zu den Stücken sagen? Welche der bevorstehenden Veranstaltungen ist für Sie das besondere Highlight?
Das ganze Jubiläumsjahr „100 Jahre“ ist ein besonderes Highlight!