Ein Interview mit der Italienerin Elena Palumbo Mosca
Es sind die Begegnungen mit Menschen, die nicht nur das Leben lebenswert machen, wie der französischen Schriftstellers Guy de Maupassant schrieb, sondern die sich nachhaltig in unserem Gedächtnis verankern. Eine dieser Begegnungen fand im Frühjahr diesen Jahres in Italien statt. Durch „Zufall“ durfte ich Elena Palumbo Mosca in ihrem Haus in Ligurien treffen. Die zierliche Italienerin mit den wachen Augen öffnete uns die Tür und wir standen unverhofft in ihrer großzügigen Küche, die aufgrund ihrer unfassbaren Geschosshöhe eher an einen Saal erinnerte und eine ganz besondere Atmosphäre ausstrahlte. Inmitten des Raumes stand Elena, die umgeben war von zahlreichen Katzen, von denen einige die Namen von Musikern trugen. Amy (Winehouse), Dexter (Gordon), Billy (Hollyday) und Laster (Young). Dass Elena Katzen liebt, darauf wies bereits das Schild an der Tür hin „Attenti al gato“ – „Vorsicht Katze“ hin. Darüber hinaus schien sie ebenfalls ein Faible nicht nur für Katzen und Musiker zu haben, was unschwer an den Namen der Katzen zu erkennen war, sondern auch für Kunst. So schmückten zahlreiche Kunstdrucke und 2 Originale von Rotraut (Ehefrau von Yves Klein- Anmerkung der Redaktion)nicht nur die Wände der Küche des lichtdurchfluteten Hauses. Das ganze Haus wirkte mit seinen zahlreichen Kunstwerken nahezu einer Kunstgalerie. Bei der Frage „Sei una artista?“- „Sind Sie Künstlerin?“, breitete sich ein glückliches Lächeln in ihrem Gesicht aus. „Ero il modello di Yves Klein!“ – „Ich war das Modell von Yves Klein.“ Mit freudigem Strahlen zeigt sie auf das blaue Bild, dessen Original im New Yorker MOMA ausgestellt wird und auf das der Künstler Elenas Namen in Bleistift geschrieben hat. Es zeigt den Abdruck Elenas Körper in dem bekannten Yves Klein Blau, das er sich 1960 unter der Bezeichnung International Klein Blue (I.K.B.) patentieren ließ. Dieses Kunstwerk ist Teil der Serie Anthropométries, die 1960 in der Galerie Rive Droite in Paris entstanden. Während dieser Kunstaktion bestrichen sich weibliche Modelle mit blauer Farbe, um nach expliziten Anweisungen des Künstlers ihren bemalten Körper an der Leinwand abzudrücken. Der französische Kunstkritiker Pierre Restany bezeichnet die Modelle als „lebende Pinsel“.
Im Laufe des Vormittags erzählte Elena von ihrem aufregenden Leben, das sie schon wenige Jahre nach der Geburt in Turin aufgrund der politischen Umstände – ihre Eltern waren Antifaschisten – in die Mont-Blanc Region verschlug. Dort erhielt sie eine klassische Ausbildung und erlernte die französische Sprache fließend. Viel Zeit verbrachte sie als junges Mädchen in England bei der Familie ihres Onkels, weshalb sie die englische Sprache ebenfalls nahezu wie ihre Muttersprache spricht. Später kamen ihre Kenntnisse in Spanisch dazu, sodass es für die vielseitig Interessierte ein Kinderspiel ist, zwischen vier Sprachen hin- und herzuwechseln.
Nach ihrem Schulabschluss war Elena zunächst in Turin in der Klinik ihres Onkels, der Kardiologe war, tätig, was ihr allerdings bereits nach kurzer Zeit zu eintönig wurde. Als ihr eine Bekannte den Vorschlag unterbreitet, nach London zu gehen, war sie sofort Feuer und Flamme. Die zwei jungen Frauen packten ihre sieben Sachen – ohne zu wissen, was sie erwartet.
Was hat dir an London gefallen und wie lange warst du in London?
Alles, als ich in London ankam. Die Menschen, die Sprache, die Stadt und das kosmopolitische Leben. Nach zwei Jahren bin ich für ein paar Monate nach Italien gegangen, um danach wieder für weitere zwei Jahren nach London zurück zukehren.
Dann ging es nach Nizza. Warum Nizza?
Ich war bei meinem Vater in Bordighera, was in unmittelbarer Nähe zur französischen Grenze liegt, daher war Nizza naheliegend. Zudem verkörperte Frankreich für mich Freiheit.
Wie hast du deine Stelle als au-pair-Mädchen bei dem Künstlerehepaar Arman und Éliane Radigue gefunden?
Ich habe eine Anzeige in der Tageszeitung aufgegeben: „Junge Italienerin sucht eine Anstellung als Au-Pair-Mädchen.“ Daraufhin erhielt ich zahlreiche Antworten u.a. von Arman, einem jungen Künstler, und Éliane Radigue, die sie mit der französischen Musique concrète befasste. Mir war sofort klar, dass ich in diesem kulturellen Ambiente arbeiten wollte, das sehr angenehm avantgardistisch und kosmopolitisch geprägt war. Da ich in einem Musikerhaushalt großgeworden bin, habe ich mich in der Welt der Künste sofort wohl gefühlt.
Du kommst aus einer Familie mit Musikern?
Ja, schon, allerdings schlug Elianes Herz für die avantgardistische Musik, wohingegen mein Bruder Musiker in einem klassischen Orchester ist. Ich bin mit Musik aufgewachsen – mein Opa und mein Urgroßvater waren Musiker. Die Begabung ist väterlicherseits. Alle hatten eine Leidenschaft für klassische Musik, wohingegen Eliane eine zeitgenössische Komponistin war. Mit 16 Jahren entdeckte ich erstmalig in einem Lokal in Bordighera meine Liebe zur Jazzmusik.
Nach zwei Jahren wollte ich nach Paris gehen, daher waren Arman und Elaine auf der Suche nach einem anderes Au-pair-Mädchen, woraufhin sich Rotraut Ücker meldete, die Schwester des Künstlers Günther Ücker. Ich habe sie eingearbeitet und ihr die Abläufe imHaushalt von Arman und Eliane erklärt. Danach habe ich mir ein Zimmer in Nizza gemietet, um nachts als Tänzerin in einem Nachtclub zu arbeiten und tagsüber an einer mein Französisch zu perfektionieren. Als eine der wenigen Frauen konnte ich mir von meinem selbst verdienten Geld einen Roller kaufen, mit dem ich die Gegend erkundete. Schließlich bin ich nach Paris gegangen.
Wie haben sich Rotraut und Yves Klein kennengelernt?
Yves Klein war ein sehr guter Freund von Arman, daher habe ich ihn selbst mehrfach während der Zeit in Nizza getroffen. Ich habe die beiden einander vorgestellt und sie haben sich sofort ineinander verliebt. Als ich nach Paris ging, habe ich zusammen mit Yves Klein in seiner Wohnung gewohnt.
Warum Paris?
Ich wollte mein Französisch weiterhin verbessern und einfach in Paris leben. Hier hat mir einfach alles gefallen: Die Pariser, die Stadt, der Lebensstil.
Hast du in Paris viele Künstlerinnen und Künstler getroffen?
Ja, wir haben oft im Coupolle gegessen, einem Restaurant im Montparnasse Viertel, das sehr beliebt bei der intellektuellen Künstlerschaft aus Paris war. Hier saßen wir neben Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und all den anderen. Für mich war es dort sehr außergewöhnlich – eine kleine italienische Bourgeois aus Turin, die sich inmitten all der Intellektuellen aus Paris befindet.
Tagsüber habe ich studiert und nachts arbeitete ich in Nachtclubs, um mein Leben zu finanzieren. Es war meine Leidenschaft zu tanzen, zudem hat es mir gefallen, auf der Bühne zu stehen, was mir später als Dolmetscherin nützlich war.
Letzten Sommer kam es zu einer amüsanten Begebenheit in Paris im Restaurant Coupolle. Ich war dort mit zwei Mitarbeitern des Yves Kleins Archivs, als uns ein junger Kellner sehr aufgeschloßen von der Vergangenheit des Restaurant als Treffpunkt von Künstlern berichtete. Das brachte uns natürlich zum Schmunzeln, da er nicht wusste, dass er von uns sprach.
Hatten wir damals kein Geld fürs Essen, sind wir ins Coupolle gegangen, konnten dort essen und später bezahlt. Der Restaurantchef war ausgesprochen clever. Er wusste genau, bei wem er anschreiben konnte und bei wem nicht. Er vertraute uns und wusste, dass viele Besucher kamen, um die Künstler zu sehen.
Hattest du keine Angst als Frau nachts in den Nachtclubs unterwegs zu sein?
Nein, ich bin ein Nachtvogel, zudem war ich auch mit Gangstern unterwegs, da mir auch Gangster gefielen – du musst da natürlich ein bisschen vorsichtig sein … zudem war ich Anhängerin der Black Panthers und liebe Jazzmusik.
Ursprünglich wollte ich Regisseurin werden, es war mir allerdings damals nicht klar, dass es für eine Frau sehr viel schwieriger ist. Diese Welt wird von Männern bestimmt. Kennst du etwa viele Regisseurinnen, die bekannt sind? Klar war mir, dass ich Geld brauchte, was für eine Frau in der damaligen Zeit sehr herausfordernd war. Also habe ich in vier Nachtclubs bis morgens um vier Uhr gearbeitet, 3-4 Stunden geschlafen, um danach an die Universität zu gehen. Mir wurde in meinem Leben noch nie etwas geschenkt …
Wie kam es, dass du Teil der Kunstaktion Anthropometrien wurdest?
Yves, mit dem ich zusammenlebte, fragte mich, also habe ich mitgemacht.
War diese Kunstaktion der Anthropometrien einem Zufall überlassen oder minutiös geplant?
Es war alles bis ins Detail geplant. Ursprünglich haben wir die Aktion zu Hause geprobt. Am Tag davor sind wir in die Galerie gegangen, um zu erkunden, wie wir uns bewegen sollten. Dieser Ereignis musste gut vorbereitet sein. Während der Aktion spielten Musiker eine Symphonie, die sich Monotone-Silence nannte – denn sie spielten lediglich einen Ton. Mir hat es Spaß gemacht, Teil der Kunstaktion zu sein.
Wie war die Reaktion des Publikums?
Das weiß ich nicht, da ich vollkommen konzentriert war und keinen Blick für das Publikum hatte. Bei solch einem Ereignis, bei dem du im Zentrum der Öffentlichkeit steht, musst du absolut konzentriert sein. Du musst die totale Kontrolle über das behalten, was du tust.
Wurde viel über diese Kunstaktion geschrieben?
Ja, zumal Yves bewusst mit seiner Kunst provozieren wollte. Die avantgardistische Kunst war darauf bedacht, dass man darüber sprach, diskutierte auch darüber stritt. Yves war sehr mutig und überzeugt, von dem was er tat.
Fiel es dir nicht schwer, nackt vor all den Leuten zu stehen? Meinst du, viele Frauen hätten das gemacht?
Ich habe es gemacht – andere Frauen heiraten und bekommen Kinder … meine Kinder sind meine Abdrücke. Ich probiere alles aus, was mir gefällt. Das ist mein Lebensmotto.
Was hat deine Mutter zu dieser Kunstaktion gesagt?
Als meine kluge Mutter auf der Titelseite der Turiner Tageszeitung ein Nacktbild von mir mit den Farben Yves Kleins sah, schrieb sie: Meinst du nicht, du übertreibst es etwas in Paris?Meine Mutter, die im übrigen Ski Champion war und uns sehr frei erzog, reagierte wirklich ausgesprochen cool … sie hatten einen großen Sinn für Humor, weshalb bei uns zuhause immer sehr viel gelacht wurde.
Ich habe gelesen, dass dir der Ausdruck „lebender Pinsel“ nicht gefällt. Warum?
Ich bin nie ein Pinsel gewesen! Auch kein Objekt! Ich habe immer gewusst, was ich mache.
Du selbst bist keine Künstlerin, warst allerdings Zeit deines Lebens mit Künstlern umgeben: Malern, Musikern, Bildhauern. Was fasziniert dich an der Welt der Künste?
Mir gefällt Kunst – ich liebe Musik, insbesondere Jazzmusik, Malerei, Architektur. Zudem gefällt es mir, Räume zum gestalten. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, wäre ich bestimmt eine gute Architektin geworden. (Was man beim Anblick ihres selbst entworfenen Hauses absolut bestätigen kann). In der Welt der Künstler fühle ich mich heimisch. Ich kann nicht malen, dafür tanzen.
Was hat dich an der Kunst von Yves Klein begeistert?
Die Idee der Farbe blau ist schon sehr schön. Yves war ein Ästhet. Sein Apartment war wunderschön mit diesem Blau. Wir haben dort in erster Linie von Kunst gesprochen. Über was sollte man denn sonst mit einem Künstler sprechen?
War die Wohnung Yves voller Kunstwerke von ihm?
Nein, denn Yves liebte die Leere, daher veranstaltete er 1958 in Paris die Ausstellung le Vide (Die Leere), die auf große Resonanz stieß. Wie Yves hatte ich als Trampolinspringerin den Wunsch, ins Leere zu springen. Dieses Konzept der Leere fand Yves in Japan, das er als Judopraktiziernde 1952 für 16 Monate besuchte. Diese Zeit in Japan hat sowohl seinen Sinn für Ästhetik als auch seine Disziplin beeinflusst. Zudem spielt die Leere in Japan eine ganz bedeutende Rolle. Auch ich reiste mehrfach nach Japan, allerdings aus anderen Gründen. Hier wurde mir bewusst, wie wichtig Yves Aufenthalt für sein Konzept der Leere in der avantgardistischen Epoche war.
Yves Monochromie waren nicht nur blau sondern pink sowie Gold, wobei er sich vorwiegend auf das bekannte Yves Klein Blau konzentrierte. Die Farbe Blau nahm schon immer eine herausragende Bedeutung in der Philosophie ein. Als Farbe des Himmels symbolisiert Blau das Göttlichen oder Überirdischen.
Wie lange warst du als Dolmetscherin tätig und wo hast du gearbeitet?
Ich habe von 1969-2000 als Dolmetscherin in Brüssel gearbeitet – ursprünglich als Freelancer und danach für das europäische Institut. Ich übersetzte Beiträge der unterschiedlichsten Minister aus dem französischen, englische und spanischen ins italienisch. Die meiste Zeit verbrachte ich in Brüssel und Luxemburg und da ich in der Nähe meines Bruders sein wollte, kaufte ich dieses Haus in Ligurien, das damals eine Ruine war unddas ich über Jahre nach meinen eignen Entwürfen renovierte.
Diesen Monat wird du einen Kongress in Lugano zum Thema Yves Klein besuchen?
Ja, seine Frau Rotraut, mit der ich nach wie vor befreundet sind, sind die einzigen noch lebenden Zeitzeugen.
Was denkst du heute über diese Kunstaktion von damals?
Es hat mir Spaß gemacht, einen wichtigen Beitrag für die Kunst von Yves Klein zu leisten.
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