Noch nie war in den letzten Jahren und Jahrzehnten das Interesse an der Natur und den Pflanzen so groß wie aktuell. Ganze Völkerscharen ziehen im Frühling in den Wald auf der Suche nach Bärlauch und im Sommer durch Wiesen um Auen, um die wunderbar duftenden Holunderblüten zu ernten. Längst haben das selbstgemachte Bärlauchpesto sowie der Holundersirup nicht nur die heimischen Küchen erobert, sondern sind von den Speisekarten zahlreicher regional geprägter Restaurants nicht mehr wegzudenken. Und auch der Löwenzahn, die Brennnessel und das uns das ganze Jahr begleitende Gänseblümchen landen immer häufiger in Salatschüsseln und Kochtöpfen.
Dass unsere Natur weit mehr als die uns landläufig bekannten Pflanzen bereithält, dürfte unlängst bekannt sein. Doch, wie sich dieser umfangreichen Vielfalt nähern? Eine Möglichkeit können die zahlreichen Kräuterführungen sein, die vielerorts angeboten werden oder das Schmökern der passenden Lektüre.
Ich wurde Anfang letzten Jahres auf die Bücher von Dr. Markus Strauß aufmerksam, die mich sofort begeisterten. Sind sie doch allesamt nicht nur ansprechend gestaltet, sondern liefern neben den Pflanzenvorstellungen jeweils passende Rezepte mit, die leicht umsetzbar sind. Und die darüber hinaus nicht nur gesund sind, sondern köstlich schmecken, was dem Autor eine Herzensangelegenheit ist.
Zudem überzeugt mich der Ansatz, die Wildpflanzen, die ein Vielfaches an Inhaltsstoffen im Vergleich zu kultiviertem Gemüse enthalten, in den Alltag zu integrieren und nicht erst zu Heilkräuter zu greifen, wenn uns ein Wehwehchen plagt. Denn immerhin haben wir uns über 2 Mio. Jahre lang von essbaren Wildpflanzen ernährt, die uns das Überleben sicherten, standen sie uns doch zu jeder Zeit in unserer Geschichte zur Verfügung.
Da sich die wilden Pflanzen gegen Tierfraß, Trockenheit, Wind und Wetter behaupten müssen, strotzen sie im Gegensatz zu den kultivierten Gemüsen vor Widerstandskraft und unbändiger Vitalität. Das schlägt sich in der unglaublichen Anzahl an Vitaminen, Spurenelementen und Mineralien, sekundären Pflanzenstoffen wie Bitterstoffe, ätherischen Ölen und Enzymen nieder. Zudem wachsen viele von ihnen vor unserer Haustüre und müssen weder gegossen, geschnitten oder gedüngt werden. Mit diesem Wissen und den wundervollen Büchern von Dr. Markus Strauß begann meine abenteuerliche Reise in die Welt der wilden Pflanzen …
Waren es anfangs Löwenzahnblätter und Gänseblümchen, die meinen Salat zierten, so wurde mein Interesse mehr und mehr geweckt. Daher kam mir der 9-monatige Onlinekurs von Dr. Markus Strauß gelegen, bei dem die zur Jahreszeit passenden Pflanzen vorgestellt und zu Köstlichkeiten verarbeitet wurden. Und auch wenn ich von Kindesbeinen an mit Brunnenkressesalat im Frühling, Waldmeisterbowle im Mai und Esskastanien sowie frischen Walnüssen im Herbst aufgewachsen bin, so erschloss sich mir eine völlig neue Welt.
Von Mal zu Mal entdeckte ich bei meinen Streifzügen durch die Natur immer mehr Wildes, das in meinem Korb landete, um zuhause kurzerhand verarbeitet zu werden. Mit dem überall sich verbreitenden Giersch im Garten habe ich Frieden geschlossen und lasse ihn wachsen, versorgt er uns doch mit wertvollen Inhaltsstoffen – und das auch noch gratis und in Bioqualität. Er landet jetzt fein geschnitten im Spätzlesteig oder verfeinert die Gnocchi.
Die morgendlichen Smoothies werden immer grüner und wilder und im Schrebergarten wachsen der Löwenzahn und der Spitzwegerich munter vor sich hin. Die gelben Löwenzahnblüten werden kurzerhand zu Kräutersalz verarbeitet, das schon alleine wegen seiner gelben Farbe eine Augenweide ist und darüber hinaus die Salaten mit einer würzigen Note verfeinert.
Als uns dann am Ende des Kurses die Möglichkeit einer Weiterbildung zur zertifizierten Fachberaterin für Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen aufgezeigt wurde, war klar: Ich melde mich an! Und siehe da, ein Platz im Kompaktkurs wurde frei, der im Frühjahr mit zwei Onlineveranstaltungen am Wochenende startete.
Ausgerüstete mit einem umfangreichen Ordner über essbare Wildpflanzen, der im Vorfeld zugeschickt wurde, folgten wir via Zoom den Ausführungen von Markus, der eingangs allen das „Du“ anbot. „Es hört sich beim Wildpflanzen sammeln komisch an, wenn man zwischen dem Gebüsch rum kriecht und fragt ’Können Sie mir bitte mal den Bärlauch reichen?’“, erklärt der charismatische Naturfreund mit dem herzlichem Lachen, der bewusst nicht von Wildkräutern redet sondern von Wildpflanzen. „Denn bei Kräuter haben wir bizzi, bizzi Petersilie auf den Kartoffeln oder 2 g Kräutertee im Beutel im Kopf. Dabei geht es bei den Wildpflanzen ebenfalls um essbare Stauden, Sträucher sowie Bäume!“
Nach einem anfänglichen Überblick über die Geschichte der Wildpflanzen, wurden uns die unterschiedlichen Pflanzenfamilien und ihre gemeinsamen Merkmale anhand von Beispielen vorgestellt.
Mit diesem Wissen und dem dicken Ordner im Gepäck starteten wir Ende Mai auf den wunderbar im Allgäu gelegenen Aichbaindthof, um vor Ort sowohl in Theorie als auch in der Praxis unser Vorwissen zu vertiefen.
In einer kleinen Gruppe von nur 16 Naturfreundinnen und -freunden wurden wir allmorgendlich in einem lichtdurchfluteten Seminarraum mit Blick auf sattes Grün, mit einem frisch zubereiteten grünen Smoothie empfangen. Und auch wenn ich schon zahlreiche Smoothies getrunken habe – dieses von Bianca zubereitete wilde Getränke schmeckte einfach gigantisch. Zudem sorgte es am Vormittag dafür, dass wir den umfangreichen Lerninhalten konzentriert folgen konnten.
Kurz vorm Mittagessen schweiften die Blicke vermehrt gen Küche, um einen Blick auf die wunderbar duftenden Gerichte zu erhaschen, deren Gerüche den Seminarraum erfüllten. Denn, währenddem wir uns den wilden Pflanzen vormittags in der Theorie näherten, so überraschte uns unsere Wildpflanzenköchin mit wilden Gerichten, die uns allesamt begeisterten. Der Duft hielt bei Weitem das, was er versprach. Alle Wildpflanzenfreunde konnten überhaupt nicht genug bekommen von der frischen und wilden Kost, die für Geschmacksexplosionen im Mund sorgte.
In den Nachmittagen zogen wir in Wald und Wiesen, um die Pflanzen, die wir am Morgen kennengelernt haben, in natura zu entdecken. Ausgerüstet mit Lupe, Pflanzenerkennungs-App und Messer lauschten wir den Ausführungen von Markus sowie von Birgit. Beide verfügen nicht nur über ein unglaubliches Wissen über die Natur – ihre tiefe Verbundenheit war allgegenwärtig.
Zu nahezu jeder Pflanze, die uns begegnete, gab es etwas zu berichten und zu beobachten. Denn auch das genaue Hinschauen ist unersetzlich beim Erkennen der Pflanzen, um sicherzustellen, dass keine Verwechslungsgefahr besteht. Wir entdeckten Pflanzen in den Wiesen und Wäldern des Allgäus, die in unserer, von Industrie geprägten, Region schlicht und ergreifend nicht wachsen, schon gar nicht in dieser unglaublichen Farbintensität und dem kraftvollen Wuchs.
Und da es sich um eine Weiterbildung der Hochschule in Nürtingen handelte, wurde unser Wissen am Ende des Kurses bei einer abschließenden Prüfung abgefragt. Eine leichte Nervosität breitete sich im Seminarraum aus und als wir schließlich die Blätter mit den Fragen umdrehen durften, fühlte man sich um Jahre zurückversetzt …..
Wie wissbegierig die gesamte Gruppe zum Thema Wildpflanzen war, zeigte sich am Ergebnis. Alle hatten mit der Note 1 und 2 bestanden und können nun als zertifizierte Fachberaterinnen und Fachberater für Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen ihr wildes Wissen anwenden und weitergeben.
Diese Tage im Allgäu mit außergewöhnlichen Menschen inmitten wilder Natur schwingen noch lange nach und haben eine unglaubliche Sehnsucht nach mehr Natur geweckt, die tief in uns allen schlummert und genährt werden möchte.
Infos zur „wilden“ Ausbildung: